GIPFELBLICKE
                                                                                                                                                       Aus einer Idee wird ein Plan
                                                        Letzte Aktualisierung: 01.02.2017
Die    Idee,    in    allen    europäischen    Ländern    auf    die    jeweils höchsten    Berggipfel    zu    steigen,    kam    mir    im    Jahr    2013,    im kaukasischen   Dorf   Tscheget,   im   Hotel   Esen “.   Die   Gruppe   der Elbrusaspiranten,   zu   der   auch   Brigitte   und   ich   gehörten,   saßen beim Abendessen,   als   unser Tischnachbar   über   seine   Reisen   und Gipfelerfolge   sprach.   Auf   den   Olymp   müsste   man   auch   einmal kraxeln   und   warum   nicht   auf   den   Höchsten “   in   Island?   Der Gedanke   setzte   sich   fest.   Nach   der   erfolgreichen   Besteigung   des 5.642 m   hohen   Elbrus   im   Kaukasus,   der   aus   meiner   Sicht   nicht zu   Asien,   sondern   zu   Europa   gehört,   wurde   aus   der   Idee   der Plan „ Gipfelblicke auf Europa “. In   meinem   Alter   war   mir   klar,   dass   ich   nicht   mehr   auf   die jeweils   höchsten   Berge   der   sieben   Kontinente   steigen   kann.   Das Bergsteigen   hatte   also   für   mich   seine   Höhengrenze   erreicht.   Die zukünftigen Ziele sollten erreichbar sein. Brigitte   war   anfangs   etwas   skeptisch,   entschied   sich   aber,   alle für   sie   machbaren   Gipfel   mit   zu   erklimmen.   Bald   stellten   sich Fragen:   Welche   Länder   zählen   eigentlich   zu   Europa?   Gehören Georgien,   Armenien   und   Aserbaidschan   dazu?   Und   was   ist   mit den    Ländern    wie    Russland,   Türkei    und    Kasachstan,    die    nur europäische    Landesanteile    haben?    Wo    genau    verläuft    die innereurasische Grenze? Gibt   es   in   den   Niederlanden,   Dänemark   oder   in   der Vatikanstadt einen   höchsten   Berg?   Kann   man   im   Fürstentum   Monaco,   dem zweitkleinsten   Staat   der   Erde,   überhaupt   von   einem   höchsten Berg   sprechen?   Welchen   Status   haben   Gibraltar   und   Zypern und   ist   der   Kosovo   überhaupt   ein   Staat?   Die   Sowjetunion   und Jugoslawien    sind    zerfallen,    Montenegro    ist    erst    2006    als unabhängiger    Staat    geboren    worden.    Gerade    auf    unserem Kontinent   änderten   sich   die   Grenzen   immer   wieder.   Schottland bleibt    nach    der    Volksabstimmung    von    2014    ein    Teil    von Großbritannien,   ob   Katalonien   sich   von   Spanien   abspaltet,   ist bislang   ungewiss.   Auch   die   Konflikte   in   der   Ukraine   haben   die Landkarte verändert und könnten es weiterhin tun. Meine   Internetrecherche   brachte   zwei   wesentliche   Ergebnisse. Erstens:   Erich   und   Brigitte   sind   nicht   die   Einzigen,   die   den Spleen   haben   auf   alle   höchsten   Gipfel   der   europäischen   Länder zu   steigen.   Es   gab   und   gibt   weitere   Verrückte “   mit   diesem Ziel.    Zweitens:    In    Ermangelung    einer    eindeutigen    marinen Grenze   wie   bei   den   anderen   Kontinenten   ist   jede   Grenzziehung zwischen    Europa    und    Asien    eine    Frage    der    Konvention. Tatsächlich    gibt    es    keine    völkerrechtliche    Definition    dieser Grenze.   Ob   nun   die   Wasserscheidelinie   des   Kaukasus   oder   die etwa      300 km      nördlich      vom      Kaukasusgebirge      gelegene Manytschniederung     als     Grenze     zwischen     den     Erdteilen betrachtet   wird,   ist   Ansichtssache.   Diese   Position   bestätigten mir      auch      Wissenschaftler      vom      Leipziger      Institut      für Länderkunde,   bei   denen   ich   nachgefragt   habe. Auf   unserer   Liste stehen     nun     48     Berge.     Davon     zählen     45     zu     Ländern
Kontinentaleuropas.    Drei    weitere    Gipfel    liegen    in    Staaten    mit europäischen   Landesteilen.   Zu   ihnen   gehören   Russland,   die   Türkei und    Kasachstan.    Sieben    europäische    Staaten    haben    zwar    einen Höchsten “   auf   dem   Kontinent,   aber   einen   noch   höheren   Berg   in Übersee    oder    im    asiatischen    Teil    des    Landes.    Da    die    Inseln Grönland,   Färöer,   Südgeorgien,   Teneriffa,   Pico   und   Saba   mit   ihren höchsten   Gipfeln   geologisch   nicht   zu   Kontinentaleuropa   gehören, politisch   zum   Teil   autonome   Bestandteile   des   Mutterlandes   sind oder    als    besondere    Gemeinde    gelten,    wurden    sie    nicht    in    das Projekt    einbezogen.    Ebenso    betraf    das    die    höchsten    Berge    im asiatischen Teil Kasachstans und der Türkei. Jeder   hat   seinen   Spleen.   Wer   keinen   hat,   dem   fehlt   etwas.   Es   hat keinen   Sinn,   lange   Erklärungen   zu   versuchen   für   etwas,   das   die meisten   als   sinnlos   betrachten,   weil   sie   nie   den   rechten   Zugang dazu   hatten.   Diese   Menschen   werden   nicht   verstehen,   warum   man sich   stundenlang   und   manchmal   sogar   tagelang   Anstrengungen, Plage   und   Mühsal   in   den   Bergen   aussetzt.   Uns   macht   es   Freude   ins Unbekannte   aufzubrechen,   die   selbst   gewählten   Ziele   zu   suchen und   zu   finden.   Es   ist   auch   immer   ein Abenteuer   sich   in   der   Fremde zu   orientieren.   Die   wichtigsten   Aspekte   dabei   sind   die   Menschen und   ihre   Sprachen,   ihre   Lebenskultur   und   die   Landschaften,   in denen    man    unterwegs    ist.    Obwohl    Bergsteigen    zuallererst    eine körperliche   Erfahrung   ist,   sind   die   Touren   nicht   nur   eine   physische Herausforderung,   sondern   auch   eine   mentale.   Sie   beginnen   mit   der Planung   zu   Hause   am   Schreibtisch   und   sie   enden   dort   mit   der Nachbereitung.   Das   eigentliche   Wandern   und   Bergsteigen   ist   der Höhepunkt   dazwischen.   Bei   mir   paart   sich   das   Hobby   Bergsteigen mit   meinem   Faible   für   die   Geografie,   denn   dieses   Fach   habe   ich einmal   studiert.   Die   Berge   an   sich   sind   nur   noch   Endpunkte   der Reise,   aber   auch   stets   Ansporn   gewesen,   den   höchsten   Punkt,   den Gipfel,   zu   erreichen.   Meist   gelang   es   uns,   alle   Faktoren   für   eine erfolgreiche   Bergbesteigung   in   Einklang   zu   bringen:   die   eigene Verfassung,     die     Akklimatisation,     das     Wetter.     Doch     stärkere Erfahrungen   als   den   Gipfelerfolg   brachten   gescheiterte   Aufstiege. Sie    sagen    mehr    über    eine    Persönlichkeit    aus    als    der    Triumph. Brigitte    schätzte    ihre    Kräfte    z. B.    am    Ararat    richtig    ein    und entschied rechtzeitig auf einer Höhe von 4.500 m umzukehren. Das   Geleistete   hat   keinen   nachweislichen   Zweck   -   es   ist   nutzlos. Für   Brigitte   und   mich   war   es   aber   sehr   sinnvoll   gewesen,   sich diese   Ziele   gesetzt   zu   haben.   Es   bleibt   das   Gefühl,   dass   man   auch im   Alter   noch   auf   Berge   steigen   kann,   auf   die   sonst   nur   Jüngere gehen,     das     Selbstbewusstsein,     das     aus     einem     erfolgreichen Gipfelgang   erwächst,   die   neuen   Begegnungen   und   Eindrücke.   Und nicht    zu    vergessen:    die    Herzlichkeit    vieler    Menschen    auf    den Reisen.   Wir   sind   keine   Freunde   von   Staaten,   in   denen   Religion genutzt    wird,    um    Minderheiten    oder    Frauen    zu    diskriminieren. Aber   nicht   dorthin   zu   reisen   ist   auch   nicht   die   Lösung.   Oft   haben wir   vorgefertigte   Bilder   in   den   Köpfen.   Für   den   Respekt   ist   es wichtig, eigene Erfahrungen zu sammeln und sie weiterzugeben. „Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, dass man neue Landschaften sucht, sondern dass man mit neuen Augen sieht.“ Marcel Proust Als    Kind    der    untergegangenen    DDR    war    mir    das    Sammeln angeboren.   Mit   Vogeleiern,   Bierdeckeln   und   Schmetterlingen   hat alles    angefangen.    Später    kamen    Briefmarken    dazu,    doch    nie wurden die Sammlungen komplett. Als   Rentner   sammeln   wir   nun   Berge.   Die   meisten   Gipfel   waren   für uns   beide   erreichbar,   nur   die   ganz   schwierigen   erklomm   ich   mit einem   Bergfreund   oder   mit   einem   Bergführer,   um   sicher   hinauf und   wieder   heil   ins   Tal   zu   kommen.   Während   der   Reisen   haben Brigitte    und    ich    den    Flickenteppich    Europa    kennen    und    lieben gelernt.
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© Erich Arndt
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